Ausgabe Berlin, 25. April 1890
„Bei dem außerordentlichen Zuwachs der Bevölkerung Moabits in den letzten Jahren tritt das Bedürfniß nach einer Bethätigung des religiösen Lebens unter den Israeliten dieses Theiles der Weltstadt immer lebhafter zu Tage. Gottesdienst und Religionsunterricht sind die Wünsche, die von Tag zu Tag sich lauter erheben. Was bisher in diesem Stadttheil nach dieser Richtung hin vorhanden war, ist allerdings kaum nennenswerth. Im Wesentlichen beschränkte es sich auf den Gelegenheitsgottesdienst an den hohen Festtagen, für welchen die Moabiter Lokale einen wenig würdigen Platz herliefern mussten. Die dankenswerthen Neuerungen des Gemeindevorstandes im jüngsten Jahre kamen lediglich anderen Stadtvierteln zu Gute; offenbar hat die Schwierigkeit der Auffindung einer geeigneten Miethsräumlichkeit für Moabit sich nicht überwinden lassen. Zur Berathung über Maßnahmen zur Milderung dieses religiösen Nothstandes waren am gestrigen Abend im Ilges’schen Lokale eine Anzahl jüdischer Gemeindemitglieder des äußersten Nordwestens versammelt. Allgemein trat die Ansicht zu Tage, daß bei der Entfernung der Berliner Synagogen und Religionsschulen und bei einer Anzahl von über 300 jüdischen Familien die Nothwendigkeit des Erwerbs – gleichviel ob durch Kauf oder Miethe – einer eigenen Räumlichkeit für die religiösen Zwecke des Stadtviertels dringend geboten sei; die Debatte drehte sich hauptsächlich um die Frage der Initiative und das Verhältniß zu den Gemeindebehörden. Die streitigen Meinungen klärten sich schließlich dahin, es sei aller Grund zu der Annahme vorhanden, daß Vorstand und Repräsentanten dem Projekt einer Moabiter Synagoge und Religionsschule sich sympathisch gegenüber stellen würden, trotzdem sei es nothwendig, durch provisorische Schritte den Beweis für das Bedürfnis zu erbringen.
Schließlich wurde ein Komitee aus den Herren Pollak, Kosterlitz, Direktor Lövinson, Dresel, Elsoeser, Baruch und Eppenstein bestehend, gewählt, welches den Auftrag erhielt, in einer nächsten Versammlung betreffs Erwerbs einer geeigneten Räumlichkeit Vorschläge zu machen. – Von anderer Seite erfahren wir übrigens, daß eine hiesige orthodoxe Separatgemeinde mit der Absicht umgeht, in Moabit eine Religionsschule zu errichten.“