Das Heute baut darauf auf, was gestern war
„Misstraut den Grünanlagen“ schrieb der Schriftsteller Heinz Knobloch einst als ersten Satz seines Romans „Herr Moses in Berlin“ über den kleinen Jüdischen Friedhof in Mitte, der zu DDR-Zeiten zum Park wurde. Viele Orte in Berlin sind nicht so harmlos wie sie aussehen. Manche haben eine grausame Vergangenheit. Was bei Knobloch der Park war, ist in Moabit ein Spielplatz: Zur NS-Zeit stand dort ein Sammellager, von dem aus Juden zur Ermordung nach Auschwitz, Theresienstadt, Riga deportiert wurden.
Orte haben eine Geschichte, wenn auch meist nicht solch eine schlimme. Wenn wir heute durch Moabit gehen, wissen wir, wo die U-Bahn-Stationen sind, wir haben unsere Wege, kennen unsere Einkaufsmöglichkeiten. Dass aber unsere Arztpraxis einst eine Wohnung war, in der Zwangsarbeiter eingesperrt waren, dass wir heute im Park über den Trümmern joggen, die in den 1950er Jahren aus den Kriegsruinen aufgeschüttet wurden, das ist uns nicht bewusst.
Mit diesem Buch möchte ich erreichen, dass sich die Menschen, die in Moabit leben oder arbeiten sich ein wenig mehr für die Geschichte und die vielen Geschichten unseres Stadtteils interessieren. Die Geschichte ist älter als wir und bevor wir hier geboren wurden oder hergezogen sind, gab es viele Generationen, die hier gelebt haben und die Moabit geprägt haben. Viele haben sich hier für ihren Ort, für ihre Arbeit, für ihr Leben eingesetzt. So manche wurden von den Säbeln preußischer Offiziere niedergemetzelt, andere von der SA erschossen oder von alliierten Bomben getötet.
Man muss etwas tun, um sein Leben und seine Umgebung zu verbessern. Heute riskiert man damit nicht mehr sein Leben, aber nötig ist es noch immer. So gibt es in Moabit Initiativen, die sich um die Rechte von MieterInnen kümmern. Andere helfen denjenigen, die vor dem Krieg in ihrem Land geflüchtet sind und hier in der Fremde neu beginnen müssen. Es gibt Initiativen, die daran erinnern, wohin Hass und Gewalt geführt haben und wieder führen könnten. Vereine helfen Obdachlosen, sorgen sich um das Stadtklima und die Bäume oder Kinder, die in der Schule nicht schnell genug mitkommen. Manche verteilen Lebensmittel an Bedürftige, andere organisieren kleine Kinovorstellungen, Seniorentreffen, Feste, Sportveranstaltungen. Es waren Bürgerinitiativen, die den Bau einer Autobahn durch Moabit verhindert haben. Eine andere kümmerte sich lange darum, dass ärmere Kinder Weihnachtsgeschenke bekommen.
Es gibt so viele Möglichkeiten, das eigene Leben dadurch zu bereichern, indem man seine Umgebung mitgestaltet, Menschen hilft oder mit anderen zusammen etwas Neues aufbaut. Moabit ist unsere Heimat, auch wenn die Wurzeln oft woanders liegen. Wer die Geschichte des Ortes kennt, wer sich mit ihm identifiziert, hat hier viele Möglichkeiten, ihn zu verbessern.
Dazu soll dieses Buch einen kleinen Beitrag leisten.
Foto: Lehrter Bahnhof 1957, Manfred Niermann, CC BY-SA 4.0